Die EU­-Olivenölverordnung muss weg!

Die Olivenölverordnung ist seit langem zur Fessel für eine gute Entwicklung auf dem Olivenölmarkt geworden. Sie nützt heute eher den Verfälschern, schützt die Verbraucher nicht, schadet den kleinen und mittelgroßen Oliviers und hindert sie daran, ihre Chancen als Qualitätserzeuger wahrzunehmen. Es ist notwendig, dieser Verordnung Alternativen entgegen zu setzen, deren Realisierung schon heute möglich wäre. Zu dieser Problematik möchte ich mit meinen Vorschlägen eine längst überfällige Debatte zwischen Erzeugern und Verbrauchern anstoßen.

In der Umgangssprache wird sie Olivenölverordnung genannt. Dort, wo sie beschlossen wurde, in Brüssel, trägt sie den Namen Verordnung (EG) Nr. 865/2004 des Rates vom 29. April 2004 über die gemeinsame Marktorganisation für Olivenöl und Tafeloliven und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 827/68.

Dass es für Olivenöle quasi ein eigenes Gesetzeswerk gibt, ist eine Ausnahme unter den Regelungen für Speiseöle und ­-fette. Die ur­sprüngliche Verordnung war si­cher gegen den andauernden Be­trug mit diesem Lebensmittel ge­richtet – schon damals nahmen unlautere Manipulationen mit Olivenöl einen Spitzenplatz im Ranking der Lebensmittelbetrü­gereien ein. Obwohl die Verord­nung mehrfach verändert wurde, konnten Betrug und Verfälschung nicht verringert werden – auch heute rangiert der Olivenölsek­tor in der Betrugsskala ganz oben. Die Gewinnspannen aus den Ma­chenschaften werden im europä­ischen Maßstab höher als beim Drogenhandel oder der illegalen Prostitution eingeschätzt.

Der Anteil der Olivenöle, die falsch deklariert und/oder ge­panscht sind und die den Han­del als Native Olivenöle Extra be­stimmen, wird auf bis zu 90 Prozent des entsprechenden Angebots veran­schlagt. Bei einer solchen Grö­ßenordnung muss es sich um of­fenen Betrug aus der Mitte der Geschäftswelt handeln, den die Beteiligten zumindest billigend in Kauf nehmen. ‚Billig’ dürfte denn auch hier das Schlüsselwort sein, wie wir es aus anderen Be­reichen der Lebensmittelindus­trie kennen.

Ursachen der Fehlsteuerung

Wie das alles möglich sein kann, wenn es doch ein Gesetz dazu gibt, ist eine schnell aufgeworfe­ne Frage. Fallen hier Verfassung und Verfassungswirklichkeit aus­einander, weil es nicht genügend Kontrollen und Ahndungen bei Vergehen gibt?

Das mag eine Rolle spielen, die Fehlsteuerung hat aber wohl tie­fer liegende Ursachen. Zwei halte ich für entscheidend. Zum einen darf nicht verkannt werden, welch enorme Mittel aus den Betrugs­ gewinnen zur Verfügung stehen, um Kontrolleure zu bestechen, Gutachten zu kaufen und hoch­rangige Lobbyarbeit in Brüssel für den Einfluss auf das Gesetz­gebungsverfahren zu bezahlen.

Gerade die Lobbyarbeit wirk­te sich bei den Änderungen der letzten Jahre in negativem Sinne sehr erfolgreich aus: Die bereits sehr niedrig angesetzten Mindest­standards wurden mit jeder Ver­änderung weiter abgesenkt, einzig mit dem Ziel, auch noch sehr vie­le von den minderwertigsten Oli­venölqualitäten in die Güteklasse der zum Verzehr zugelassenen na­tiven Olivenöle zu heben, etwa das für den Verzehr ungeeignete, so genannte Lampantöl. Der Hebel dafür ist aber in die Verordnung bereits von Beginn an eingebaut worden, indem man ‚Fehlertole­ranzen’ zulässt. Auf unserer Inter­netseite www.artefakt.eu sind wir im Olivenöl-Kompendium aus­führlich darauf eingegangen.

An dieser Stelle kommt der zweite, bisher wenig beachtete Springpunkt ins Spiel. Es ist ein systemischer Fehler im Ansatz der Verordnung, der faktisch eine Dy­namik des allseitigen Betrugs – beim kleinen Olivenanbauer oder Olivenmüller wie den industriel­len Großverarbeitern und ­-anbie­tern – befördert. Es ist die verti­kale Klassenbildung von Oliven­ölen und ihre jeweilige Definition über tolerierte Produktfehler (die Klassen haben wir hier einmal beschriebe).

Nur für die höchste Güteklas­se der Nativen Olivenöle Extra, also die Auslese, wird die Anfor­derung formuliert, es müsse sich um ein fehlerfreies Produkt han­deln. Alle anderen Klassen defi­nieren sich über den Grad und Umfang der enthaltenen Fehler. Wollte man diese Logik auf Weine übertragen, wäre die höchste Gü­teklasse dann wohl der Eiswein, es folgte mit einigen Fehlern die Trockenbeerenauslese, mit noch mehr Fehlern die Auslese, dann die Spätlese, der Kabinett­ oder Classic­Wein und zum Schluss der „Vino della Casa“.

Fraglos gibt es auch schlechte Weine – aus unsachgemäßer Ern­te und Verarbeitung, gepanscht, geschönt, mit Zusatzstoffen ver­sehen usw.. Die Produkt­- oder Qualitätsklassen der Weine de­finieren sich jedoch zunächst ho­rizontal und in ihren Klassen ei­genständig und in sich geschlos­sen. Auch ein ehrlicher Landwein darf danach keine Fehler aufwei­sen. Die Abgrenzung, z.B. zur Auslese, folgt anderen Kriterien wie Alkohol­ und Säuregehalt, Restsüße, Struktur und Aromen­ bouquet etc.. Kein Winzer käme daher auf die Idee, aus all seinen Trauben nur Eiswein machen zu wollen. Man stelle sich nur einen Sommelier vor, der den Gästen bei der Auswahl der passenden Weine die Größenordnung der Fehler vorstellte und nicht davon spräche, dass zum Dessert besser ein Süßwein und zum Salat ein spritziger Sauvignon blanc pas­sen könnte.

Der falsche Ansatz im System der Olivenölverordnung könnte daher rühren, dass die Väter und Mütter bei der Abfassung die Oli­ven nur als Fettspender und das Öl nicht als aromatischen Zellsaft aus über 180 verschiedenen Oli­vensorten im Blick hatten. Auch heute denken die meisten Aus­richter von Olivenölprämierun­gen noch so. Kann man sich ei­nen Weinwettbewerb vorstellen, bei dem zur Prämierung ein Ries­ling von der Mosel mit einem Sy­rah aus dem Trentino verglichen werden soll? Wohl eher nicht. Aber nach diesem absurden Prin­zip verlaufen allerorts die Wett­bewerbe zur Prämierung von Oli­venölen, die manchmal nur in die Wettbewerbsklassen mild fruchtig, fruchtig und intensiv fruchtig un­terschieden werden. Im Vergleich wären das beim Wein vielleicht die Kriterien lieblich, halbtrocken und trocken. Unter anderem we­gen dieses grundfalschen Ansat­zes beteiligen wir uns an derarti­gen Wettbewerben nicht. Eine Ar­bequina­-Olive aus Katalonien ist ebenso wenig mit einer Koronei­ki-­Olive aus Messenien zu verglei­chen wie ein Riesling mit einem Syrah (auch unabhängig davon, ob die Weine trocken oder halb­ trocken ausgebaut wurden).

Fatale Auswirkungen

Die Verordnung zwingt also na­hezu alle Beteiligten, aus jeder Olive Öl der höchsten Güteklas­se zu erzielen. Da das aus vieler­lei Gründen natürlich nicht mög­lich ist, sucht man zwangsläufig die Standards auf das niedrigste Niveau abzusenken – gar nicht immer gleich, nur um zu betrü­gen. Täuschung oder Betrug lie­gen deshalb heute darin, alle Pro­dukte als höchste Güteklasse auszuzeichnen, was durch die letzten Änderungen der Verordnung al­lerdings leicht gemacht oder sogar legalisiert wurde. Wenn nahezu alles jetzt die Güteklasse der ‚na­tiven Olivenöle’ erreicht, wird es zum Kavaliersdelikt, ‚versehent­lich’ das Wort „extra“ hinzuzu­setzen. Früher waren viele der so deklarierten Olivenöle Lampant­öle und durften nicht in den Verkehr gebracht werden. Es dennoch zu tun, war regelrechter Betrug.

Wir können daher nicht mehr von einer schlechten Verfassungs­wirklichkeit sprechen, die es zu verbessern gälte. Nein, die Ver­fassung selbst ist schlecht, und der beste Weg wäre es, sie abzu­schaffen und sie nicht durch eine neue Verordnung für Olivenöle zu ersetzen. Die objektiven Kräf­te­ und Interessenverhältnisse sind nicht so, dass dieses Ansin­nen heute Chancen hätte. Daher schlage ich einen Weg vor, der die Verordnung in der Praxis des Marktgeschehens bedeutungs­los werden lässt, weil Verbrau­cher und Erzeuger sich auf ande­re Maßstäbe einigen, sich daran orientieren und danach handeln.

Olivenöle wie Wein von den Aromen her denken und neu definieren

Wie beim Wein auch Olivenöle horizontal in Klassen zu defi­nieren, wäre ein Ausweg aus der Sackgasse. Mit der Bezeichnung und Klassifizierung von Weinen steht eine Art Blaupause zur Ver­ fügung, die sich bewährt hat und im Markt funktioniert. Es bräuch­te für Olivenöl sicher nicht so vie­le Klassen wie beim Wein, drei bis vier möchte ich vorschlagen: basic, classic, selection und special. In jeder Klasse dürften Fehler dann selbstverständlich nicht zugelas­sen sein.

Unabdingbar muss es den Oli­viers bei einer solchen Klassifizie­rung möglich sein, ihre Produk­te in der jeweiligen Klasse mit der jeweils eigenen Individuali­tät des Öls zu beschreiben und zu bewerben. Gerade darin liegt die Marktchance und Existenznische für kleine und mittelgroße Oli­viers, wie bei den Winzern. Mit der Entwicklung einer modernen Olivenölmanufaktur können sie eine Individualität und Qualität erzeugen, wie es die Großbetrie­be mit ihrer Melange nicht errei­chen können. Den Oliviers ist mit der Olivenölverordnung eine dem Wein vergleichbare Etikettierung jedoch untersagt. Sie dürfen ihr Olivenöl z.B. nur „Natives Oliven­öl Extra aus Griechenland“ nen­nen, mehr nicht. Gibt es für die Region ein anerkanntes D.O.P.­ Gebiet (D.O.C. beim Wein), darf es noch spezifizierend hinzuge­fügt werden. Aber es ist bereits nicht mehr erlaubt, die Oliven­sorte anzuführen. Das liegt na­türlich ganz auf der Interessenli­nie derer, die nur Masse produzie­ren und den Wettbewerb nur über den Preis führen möchten. Beim Wein dürften alle deutschen Win­zer dann z.B. ihre Flaschen nur mit „Spätlese aus Deutschland“ etikettieren. Für Verbraucher ist es damit in der Tat nicht möglich, andere Unterschiede als nur den Preis zu erkennen.

Wie Winzer nicht alle ihre Trau­ben und Sorten für die ‚Auslese’ verwenden können und wollen, so würde eine dem Wein analo­ge Fassung von Olivenölklassen auch den Oliviers die Möglich­keit geben, mit großer Aufmerk­samkeit die einzelnen Klassen von Ölen zu erzeugen. Ein basic­ Olivenöl müsste dann z.B. keines mehr mit groben Fehlern sein, aus schlechter Ernte, Lagerung, Ver­ arbeitung und Konservierung der Früchte – Öl also, das heute nur ‚gerettet’ wird durch die Fehlerto­leranzen für geschädigte Fettsäu­ren, fehlende Aromen, überreife und ranzige Geschmacksnoten, gemäß der Olivenölverordnung.

Nach der Verordnung wäre eine Auszeichnung etwa als „basic­ Oli­venöl“ verboten. Es dürfen nur die streng vorgegebenen Begriffe ver­wendet werden. Nicht jedoch ver­boten sind als Zusätze frei gewähl­te Eigennamen. Wir ergänzen un­sere Olivenöle daher jetzt um die Bezeichnung ‚arteFakt basic, clas­sic, selection und special’. Mit un­seren Erzeugerpartnern diskutie­ren wir das seit längerer Zeit, und bei unseren jährlichen Weiterbil­dungen werden wir weiter die fachlichen Verfeinerungen für die jeweiligen Klassen erarbeiten und zur Diskussion stellen. Ein Anfang ist gemacht, und die De­batte ist eröffnet.

Hier unterzeichen!

6 Gedanken zu „Die EU­-Olivenölverordnung muss weg!“

  1. Pingback: Olivenöltäuschungen – eher Norm als Ausnahme | arteFakt Auskünfte

  2. Die Güteklassen auf den Etiketten nützen gar nichts, wenn etwas anderes drin ist. Zum einem muss der Betrug viel gründlicher verfolgt und bestraft werden (die Panschereien finden meistens in Italien statt) und die Klassen nativ und nativ extra müssen schärfer definiert werden. Aber auch die Verbraucher müssen mit dem Unsinn der Billig-/Schnäppchen-Jagd aufhören und sich dann billiges Öl einverleiben. Warum beschwert sich eigentlich keiner über die Einkäufer der Discounter, die die Lieferanten im Preis so drücken, dass der Betrug fast erzwungen wird? Durch gründliche chemische Analysen lassen sich die gepanschten Öle weitgehend identifizieren. Da müssen Stichproben gemacht werden und nicht einfach sich ein Zertifikat vorhalten lassen. Hier auch mal nachlesen „Inhaltsstoffe in Olivenölen – Fälschungen erkennen und Analysenbefunde verstehen“ (ist von mir: http://www.wein-und-olivenoel-finden.de/#!inhaltstsoffe-von-olivenoel-verstehen/cxqk). Der übliche Trick ist, ein Spitzen-Öl analysieren zu lassen und dann minderwertiges Zeug zu liefern. Die meisten Verbraucher glauben ja, dass ein milder Geschmack (meisten ist es gar keiner) und kein Geruch eine gute Qualität widerspiegelt…

  3. Hallo Conrad

    Ich glaube nicht, dass die Abschaffung der Verordnung für Besserung sorgen würde. Seit Jahren hat sich der Begriff „extra nativ“ bei den Konsumenten – auch wenn sie beispielsweise in Deutschland nur gerade 0.85 l pro Kopf und Jahr davon konsumieren – festgesetzt und eingeprägt.

    Die Verordnung ist nicht per se schlecht. Die Ausführung derer allerdings schon.

    Dass Liebhaber Olivenöl mit Wein vergleichen, ist gut und recht. Es entbehrt allerdings jeglicher Realität. Die Zahlen zum Konsum verdeutlichen das: über 20 Liter Wein konsumieren die Deutschen jedes Jahr. Die Schweizer schlucken beinahe das Doppelte. Dem gegenüber stehen 0.85 Liter Olivenöl pro Kopf und Jahr für die Deutschen und 1.85 Liter Olivenöl pro Kopf und Jahr für die Schweizer.

    Es ist also noch viel zu tun, bis wir innerhalb der sensorisch fehlerfreien Olivenölkategorie verschiedene offizielle Abstufungen vornehmen können.

    Was meinst du?

    Liebe Grüsse
    Silvan

    1. Conrad Bölicke

      Hallo Silvan,
      wenn ein Gesetz fast fünzig Jahre lang nicht verhindert den umfassenden Betrug zu minimieren, wenn schon nicht zu unterbinden, wirft es die alte Frage nach der Verfassung und der Verfassungswirklichkeit auf. Fallen diese weit auseinander kann es nur an der Deformierung der Gesellschaft mit ihren Institutionen oder an der Verfassung liegen. Ich habe mich entschieden die Verfassung als nicht tauglich auszumachen. Die Verfassung legalisiert den Betrug, weil sie weitgehend die Handschrift der „Betrüger“ trägt. Das habe ich ausführlich in der Begründung zur Petition ausgeführt. Es war eines der Ziele „nativ … extra“ zum Synonym für Olivenöl am Markt durch zu setzen und es ist gelungen. Wenn also egal ist was sich hinter dem Synomym verbirgt, weil es die allgemeine Bezeichnung für Olivenöl geworden ist, dann braucht man das Gesetz auch nicht mehr, dann reicht die allgemeine Lebensmittelverordnung, damit das Olivenöl lebensmittel-physiologisch und hygienisch einwandfrei ist.
      Olivenöl könnte aber mehr, weil die Natur der Olive segensreiche Eigenschaften mit gibt. Darauf beziehe ich den Vergleich zum Wein, nicht wegen der Mengenrelvanz des derzeitigen Absatze. Die Olivenölverordnung behindert und verhindert jene, die sich auf den Weg gemacht haben in diesem Sinne das Olivenöl neu zu erfinden, um diese natürlichen Potenziale zur Geltung zu bringen. Es geht also auch um die Logik des Gesetztes, die einen industriellen Standard zum Maßstab der Qualität erhebt und anderes nicht mehr zu lässt.

  4. Pingback: Wie wird hochwertiges Olivenöl hergestellt und wie lässt es sich erkennen? | Vollwert-Blog

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