4. arteFakt Olivenöl-Weiterbildungs-Colloquium

Die größten Hemmnisse Olivenöl neu zu erfinden sind falsche Traditionen

In diesem Jahr waren wir für vier Tage zu Gast bei der Kooperative ELEONAS (Olivenöl No.27) in Marathopoulos am Meer, nahe Gargaliani, einem kleinen Ort auf dem südwestlichen Peloponnes, und die Zusammenkunft wurde im doppelten Sinne ein Feuerwerk. Kaum waren am Abend alle Oliviers und Referenten aus Spanien, Italien und Griechenland eingetroffen und hatten an der langen Tafel auf der Hotelterrasse Platz genommen, da erstrahlte für eine Viertelstunde ein fulminantes Feuerwerk am Abendhimmel. Nikolaos, der Vorsitzende der Kooperative, war aber ebenso überrascht wie alle anderen. Mit zwanzig Reisebussen waren russische Gläubige und Gäste angereist, um in der örtlichen Kirche ein besonderes orthodoxes Fest zu begehen, und für sie wurde das Feuerwerk veranstaltet.

Mit Dr. Wolfgang Endlerkonnten wir unseren Expertenkreis in wichtiger Hinsicht erweitern. Der auf dem Gebiet der Forschung zu Pflanzenzellen promovierte Biologe hatte sich  lange Jahre beim Baumschutz und der Waldschadensforschung engagiert. Außerdem war er beruflich in der wissenschaftlichen Beratung für Bürger an der TU Berlin tätig. Damit füllt er nicht nur die Lücke in unserem Kreis bei der Zellbiologie und Biochemie, sondern er stärkt auch die didaktische Wissensvermittlung für Nicht-Akademiker. Weiterhin neu hinzu gestoßen ist mit Manolis Psylakis von Kreta ein neuer Olivier und ausgewiesener Fachmann für Ökologie.

So gelang es bei dieser Fortbildung erstmals, die gesamte Wirkungskette für das Zustandekommen des späteren Olivenöls, von der Boden- und Pflanzenkultur des Olivenbaums, einschließlich des Zusammenwirkens mit der pflanzlichen Umgebung, der Beschneidung der Bäume, des richtigen Zeitpunktes der Pflückung sowie der Durchführung der Ernte, schließlich des Mühlenprozesses, der Filterung und Lagerung des Olivenöls auf dem wissenschaftlichen Niveau unseres heutigen Erkenntnisstandes geschlossen darzustellen. So manchem wurde ob der vielen Informationen dabei ganz schwindelig, es ergab sich aber auch ein Feuerwerk von Aha-Erlebnissen bei den Oliviers, weil sich bisherige Kenntnisfragmente in eine nachvollziehbare Reihe zu fügen begannen und damit schlüssiger und verständlicher wurden.

 

Lernen ist nicht immer leicht und muss dann besonders viel Spaß machen

Ungeahnte Talente kreativer Wissensvermittlung offenbarten sich bei diesen Herausforderungen auch bei den Referenten. Fiammetta Nizzi Grifi hatte eigens eine Probenreihe von Olivenölen zusammengestellt, bei denen sensorische Mängel zu erschmecken waren. Ihnen lag jeweils ein konkreter Fehler aus der Wirkungskette vom Anbau bis zur Lagerung des Olivenöls zu Grunde. Auch für Experten und Oliviers ist es nicht leicht vier Stunden lang verschiedene Olivenöle zu trinken und darüber differenzierte Urteile zu fällen, die dann auch noch ein gemeinsames Ergebnis erbringen sollen.

Dr. Wolfgang Endler nahm sich dann auf unkonventionelle Weise der Fotosynthese an, um die Bildung von Glucose (Traubenzucker) in der Pflanze zu erläutern. Mit Seltersflasche und Taschenlampe bewaffnet trat er an, um zu erläutern, unter welchen Bedingungen sich aus Wasser, C02 und Licht in den Blatt- und Olivenzellen Glucose bilden kann, die sich dann erst später in der Fruchtreife in Ölsäure (Olivenöl) verwandelt. Ein nicht leicht zu verstehender biochemischer Prozess, zumal sich trotz Dauerbestrahlung mit dem Licht der Taschenlampe keine Glucose in der Seltersflasche bilden wollte. Hier sprang Dr. Steffen Hruschka, Maschinenbauer und Verfahrenstechniker von GEA Westfalia, mit einer überraschenden und Theater reifen Regieleistung ein. Alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen mussten sich bei den Händen nehmen und Kohlenstoffketten bilden, die Steffen dann zu immer neuen Formationen dirigierte, bis sich aus den Glucosemolekühlen plötzlich Ölsäure bildete. Weil die Zahl der Teilnehmenden nicht ganz für die chemischen Darstellungen ausreichte, wurde das Tri-Glycerin der Ölsäure durch drei Stühle simuliert, so dass man zwischenzeitlich auch den Eindruck haben konnte, es werde da eine „Reise nach Jerusalem“ wie in Kindheitstagen gespielt.

Der Erkenntnisfortschritt ist größer als die derzeitige Möglichkeit der Umsetzung

Es war sicher die bisher anstrengendste Weiterbildung, bei der durch die Art der Wissenvermittlung aber auch viel gelacht wurde. Für Entspannung sorgte dann allabendlich die sprichwörtliche griechische Gastfreundschaft, die immer erst spät in der Nacht ein Ende findet. Trotzdem mussten am nächsten Morgen wieder alle topfit um 8.30 Uhr zum Seminar antreten, das mit einer Mittagspause immer bis um 20.00 Uhr reichte.

Die vier Tage haben das Gruppengefühls unserer Pioniergemeinschaft um „Olivenöl neu zu erfinden“ fraglos gestärkt. Vor allem aber erbrachte die Weiterbildung einen deutlichen Sprung in der Erkenntnis, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit eine neue Qualität für Olivenöle der nächsten Generation erzeugt werden kann. Offenkundig wurde dabei, dass für jeden Olivier und arteFakt-Partner noch Reserven zur Verbesserung des jetzt erreichten Qualitätsstandards vorhanden sind. Aber es zeigte sich auch, dass nahezu alle von uns heute als Fehler eingestuften sensorischen Charakteristika der Öle etwas mit der Gewohnheit bzw. Tradition zu tun haben, gegen die jede Änderung erst mühsam durchgesetzt werden muss. Olivenöle, wie wir sie für die nahe Zukunft anstreben, werden den „Alten“ gar nicht schmecken, weil sie mit den Fehlern groß geworden sind und sich an diesen, ihren Geschmack gewöhnt haben. Der neue Wein der jungen wilden Winzer schmeckt ihren Vätern i.d.R. auch nicht.

Besonders schwer, wenn nicht gar unmöglich wird eine wirkliche qualitative Verbesserung, wenn es nicht gelingt, die heutige Trennung von Anbau und Erzeugung aufzuheben. Ohne das die Oliviers wieder über eine eigene Ölmühle verfügen, wird das Ziel letztlich nicht zu erreichen sein. Die großen Ölmühlen der Lohnunternehmen oder Kooperativen öffnen oft zu spät, zumeist erst nach dem von uns angestrebten optimalen Reifezeitpunkt der Oliven. Das hat viele Gründe der Tradition, u.a. aber auch, weil die Anbauer lieber das süße Öl der späten Reife mögen, bei dem sie auch mehr Ausbeute erwarten und ihre Oliven deshalb nicht zu früheren Zeitpunkten in die Mühle bringen, die dann ohne Arbeit wäre. Die meisten Ölmüller sind bestenfalls Techniker, die ihre Maschinen am Laufen halten können, von den komplizierten biochemischen Prozessen in der Olive, die über die Qualität der Olivenöle entscheiden, haben sie jedoch keine Ahnung. Olivenanbauer wissen in der Regel darüber ebenfalls nichts. Wenn unsere Oliviers aufgrund von besseren Kenntnissen dann veränderte Abläufe in der Mühle verlangen, lassen sich Ölmüller nur äußerst schwer und dann nur halbherzig zu Korrekturen ihrer Arbeitsabläufe bewegen, weil sie das als lästige Störung empfinden.

Ohne eigene Ölmühle und Qualifizierung wird den Kleinerzeugern die Modernisierung nicht gelingen

Ohne eine eigene Ölmühle werden die Oliviers die Grenze zu einer neuen Qualität nicht  überspringen. Es wird daher die Aufgabe der nächsten Jahre sein, alle arteFakt-Partner dabei zu unterstützen, dieses Ziel einer eigenen Mühle zu erreichen. Mit Dimitrios Sinanos (Olivenöl No.23) versuchen wir bereits in einem Pilotprojekt die Wege und Bedingungen dafür zu erkunden. Aber allein mit einer neuen Mühle und mit einer neuen Technik wird das Vorhanen nicht gelingen. Die viel größere Investition muss im Bereich der Aus- und Fortbildung sowie der Forschung, die für Olivenöl noch in den Kinderschuhen steckt, getätigt werden. Für Winzer ist es, auch in den mediterranen Ländern, nahezu selbstverständlich zunächst eine Weinfachschuke zu besuchen und dann eventuell noch Önologie zu studieren. Für Oliven und Olivenöl gibt es noch nichts vergleichbares. Man lernt die Landwirtschaft von seinem Vater oder hat ein wenig Kenntnisse von Mechanik und Maschinen und wird dann Ölmüller.

Wir investieren in Forschung und Qualifizierung

Deshalb investiert arteFakt in die Erforschung der Grundlagen für die Qualität der nächsten Generation von Olivenölen und dazu passenden Konzepten der Wissensvermittlung und -aneignung. Die Weiterbildungs-Colloquien stellen in Fragmenten bereits eine zukünftige „Olivenfachschule“ dar. Wir werden dabei von einigen Experten und Praktikern verschiedener Disziplinen unterstützt, deren Anliegen es ebenfalls ist, das Olivenöl „aus der Fettecke“ zu holen und dem massiven Betrug durch Verfälschung, Pantschereie und Falschdeklaration entgegen zu wirken. Aber ohne Kosten geht das nicht. Seit vier Jahren insvestieren wir in dieses Paket von Forschung und Qualifizierung  jedes Jahr zwischen 50.000 und 60.000 Euro. Die Oliviers bringen zusammen noch einmal etwa den gleichen Betrag auf, für ihre Investitionen zur Qualitätsverbesserung, zur Beteiligung an der Forschgung und den Reisenkosten zu den Weiterbildungsveranstaltungen. Auch die Experten verstehen sich als Pioniere und investieren durch einen Verzicht auf Honorare oder marktkonforme Tarife ihrer Analysen etc..  Nur durch diese solidarische inhaltliche und finanzielle Bereitschaft des Mitwirkens können wir uns überhaupt an diese große Aufgabe heranwagen, die jeden Einzelnen von uns allein schwer überfordern würde.

Der bisherige fachliche Erkenntnisgewinn und die bisher entwickelten Lösungsansätze zur Gewinnung einer neuen Qualität von Ölivenöl beginnt nun auch einen Wert an sich zu erlangen. Wer außerhalb der arteFakt-Partnerschaftsstrukturen daran teilhaben möchte, wird daher diese Leistung  bezahlen müssen. Das wird nicht allen gefallen, Solidarität bedeutet aber nicht, dass die Einen alle Arbeit haben und die Kosten tragen und Andere sich diesen mühevollen Weg und auch, die damit verbundenen Kosten ersparen können.

Solidarisch bleiben wir weiterhin denen gegenüber, die etwas wollen, denen aber die ökonomischen Mittel und Ideen fehlen es zu können. Ihnen werden wir, im Rahmen unserer Möglichkeiten, auch weiterhin gerne helfen Wege zu finden diese Probleme zu lösen. Darüber berichten wir dan auch gern, weil es auch Anderen hilft den Mut dafür zu finden etwas zu wagen.

Conrad Bölicke