Quo vadis Olivenöl?

Einen Tag nach meinem Abflug von Heraklion nach Athen fuhren kretische Bauern mit ihren Traktoren auf das Rollfeld des Insel-Flughafens und hielten es für drei Tage besetzt. Andere Landwirte sperrten derweil mit ihren Traktoren die Nationalstraßen von Athen nach Thessaloniki. Nahezu gleiche Aktionen hatte ich bereits im Dezember in Apulien erlebt. Das Vorgehen hatte mich an den Milchstreik hiesiger Landwirte erinnert. Auslöser sind in allen diesen Fällen die dramatisch gefallenen Abnahmepreise. Erzielten die Olivenanbauer vor drei Jahren in Apulien noch bis zu 4,50 Euro für ein Kilo natives Olivenöl, so sank der Preis jetzt auf ruinöse 2,70 Euro, in Griechenland von 3,50 auf 2,05 Euro. Was sind die Ursachen für die fallenden Preise? Handelt es sich hierbei um (bedauerliche) Auswirkungen der ‚Marktmechanismen’, oder haben Olivenöl-Mafiosi ihre Hände im Spiel, wie viele Landwirte denken?

 

„Aldi diktiert die Preise“

titelt das Magazin „Stern“ in seiner Ausgabe 6/2009 und benennt damit ein Stück der heutigen Wirklichkeit. Es wird mit der Hoffnung auf bloße „Marktschwankungen“ aufgeräumt. So senkt Aldi unter anderem dauerhaft den Preis für 750ml Natives Olivenöl Extra (?!) von 3,19 auf 2,79 €.
Etwas Grundlegendes ändert sich beim Olivenöl in einem Prozess, der sich in anderen Branchen längst durchgesetzt hat. Erzeuger haben keinen Einfluss mehr auf die Wertbestimmung ihrer Arbeit. Um Erzeugern diesen Einfluss zu nehmen, bedarf es dreier wichtiger Voraussetzungen: Große Aufkäufer oder Händler muss es geben, die ihre Marktstellung durch die Beherrschung der Transportwege, strategischer Lagerreserven und der Warenverteilung erreichen. Strategische Lagerreserven werden benötigt, um Angebotsschwankungen auf der Erzeugerseite auszugleichen, aber auch, um damit Erzeuger antizyklisch unter Preisdruck zu setzen. Zum Beispiel kann man tief gefrorene Schweinehälften immer dann auf den Markt werfen, wenn die Tiere bei den Schweinzüchtern die Schlachtreife erreichen, also die Angebotsmenge zunimmt. Mit Tiefkühlhäusern lassen sich Marktpreise unabhängig von natürlichen Zusammenhängen des Angebots und der Nachfrage steuern und auch manipulieren. Beim Olivenöl gelang es bisher nicht recht, strategische Lagerreserven aufzubauen, weil Olivenöle durch ihre natürliche Alterung wenig dazu geeignet sind. Aus den jährlichen Preisschwankungen konnte man daher mehr oder weniger direkt auf eine gute oder schlechte Ernte schließen. Eine gute Ernte ließ die Preise fallen, und eine magere sie steigen.

 

Olivenöl und Betrug im Wandel der Zeit

Vorwiegend italienische Olivenöl-Großhändler gingen, um über marktbeherrschende Mengen zu verfügen, oft unlautere Wege. Mit – aus heutiger Sicht – nahezu archaisch anmutenden Methoden betrogen sie auf unterschiedliche Weise. Preislich günstigere griechische und spanische Olivenöle wurden als teure italienische Öle umdeklariert oder verschnitten. Tankschiffe wurden mit billigem tunesischem Olivenöl durch mehrere europäische Häfen geleitet, bis die Frachtpapiere das Öl als Erzeugnis aus dem EU-Raum auswiesen. Es wurden griechische Olivenöle mit billigem türkischen Sonnenblumen- oder Haselnussöl vermischt, und es wurden verdorbene Olivenöle in Autoklaven bei 60°C „schonend“ gedämpft, so dass sie, zusätzlich deodoriert, wieder halbwegs passabel schmeckten. Für all diese Delikte haben Firmenbosse bekannter italienischer Olivenölmarken Strafen erhalten und z. T. auch im Gefängnis abgesessen. Geholfen hat das wenig, die Gewinnspannen sind zu groß, nur beim Rauschgift gelten sie als noch höher. Daher werden solche Praktiken nicht einfach der Vergangenheit angehören.
Es zeichnet sich jedoch ein Wandel ab, der aus Erzeuger- und Verbrauchersicht aber keine Besserung bedeuten wird. „Modern“ denkende Investoren aus Spanien haben in den letzten drei Jahren nahezu alle bekannten italienischen Olivenöl-Marken aufgekauft. Ihnen gelten die Wege des archaischen Betruges als nicht zeitgemäß. Für ihre Absichten gibt es heute zivilere, legale Mittel.

 

Exkurs: Kosten der Olivenölerzeugung
am Beispiel des arteFakt-Patenschafts-Olivenhains Palombaio No.1

Die Olivenernte 2008/9 der 200 Olivenbäume des Landschaftsmuseums erbrachte mit 250 Litern Öl ein eher mageres Ergebnis. Während der Blütezeit im März gab es einen Frosttag, der die Blüten dezimierte. Im extrem heißen Sommer mit einer langen Periode ohne Regen warfen die Bäume zum ihrem Schutz dann noch viele Oliven ab. Die geringe Menge und das langsame Wachstum der Oliven begünstigten aber die aromatische Ausprägung und ergaben ein im Charakter eher sanftes Olivenöl.

Externe Kosten der Olivenölerzeugung 2008:
EU Bürokratie 70,00 €
Bodenbearbeitung 107,00 €
Wettkampf mit Feinden der Olive 226,00 €
Dünger 182,00 €
Baumpflege und -schnitt 424,00 €
Bewässerung 328,00 €
Lohnkosten der Ernte 835,00 €
Entgelt für das Presse 430,00 €
Summe 2.602,00 €

Die rohen Kosten des Olivenöls betragen damit für diese Ernte 10,41 Euro pro Liter. Ohne den Frost und bei normalem Sommerklima wäre 2008 ein Jahr mit guter Ernte (30 bis 40% mehr) geworden. Lediglich die Müller- kosten der Pressung hätten sich bei einer grö- ßeren Menge erhöht, alle anderen Kosten fal- len unabhängig von der Erntemenge an.
Das Ergebnis bildet trotz des geringen Ernteertrags die Wirklichkeit der Olivenölerzeugung ab. Als Obstgewächs erbringt der Olivenbaum im Wechsel der Jahre immer einen guten und einen schwachen Ertrag. Streng ökonomisch betrachtet, müssen Erzeuger daher einen Zweijahreshaushalt ansetzen.
Die Kostenaufstellung ist darüber hinaus noch unvollständig: Franco Cuonzo betreut den Olivenhain, berechnet aber für seine eigene Leistung zugunsten des Landschaftsmuseums nichts, auch stellt er alle technischen Geräte kostenfrei zur Nutzung zur Verfügung.

 

Die EU-Olivenöl-Verordnung wird zur Fessel

Die Einführung der Olivenöl-Verordnung in Brüssel seit 1991, insbesondere mit der Fassung von 2002, war zunächst ein richtig ansetzender Versuch, diesem Produkt einen rechtlichen Ordnungsrahmen zu geben und Mindeststandards für die Qualität zu definieren. Gleichwohl gelang es in all den Jahren damit nicht, das Olivenöl vom ersten Platz auf der Betrugsskala bei Lebensmitteln innerhalb der EU-Agrarordnung zu holen. Wurde die Verordnung verschärft, wurde der Betrug raffinierter.
In den letzten zehn Jahren haben wir immer wieder über die Betrugsmethoden berichtet und mit Mitteln der Aufklärung versucht, gegen die Machenschaften anzugehen. Die Gründung von arteFakt selbst war von diesem Bestreben geleitet, was sich seinerzeit in dem Slogan „Ölwechsel“ ausdrückte. Jetzt deutet sich aber eine für den Olivenöl-Sektor neue Strategie bei den marktbeherrschenden Akteuren an, die zu der Überlegung zwingt, künftig ganz neue Wege zu konzipieren und dann auch zu gehen, unabhängig von der Olivenöl-Verordnung. Etwa zur gleichen Zeit, als spanische Investoren große italienische Olivenöl-Marken aufzukaufen begannen, wurde die Olivenöl-Verordnung in Brüssel, auf Betreiben der „Mittelmehrländer“, an entscheidenden Stellen negativ verändert. Dadurch werden jetzt schlechte und alte Olivenöle „nativ“ und bleiben somit verkehrsfähig. Bisherige Grenzwerte hatten sie als so genannte Lampantöle vom Lebensmittelmarkt ausgeschlossen oder sie erst nach einer Raffination wieder für den Verzehr zugelassen. Dann aber durften sie nicht mehr als nativ oder gar extra deklariert werden, sondern nur noch als „Olivenöl“. Nach der EU-Olivenöl-Verordnung ist das die Bezeichnung für Raffinate. Jetzt aber, mit den neuen Grenzwerten, können strategische Lagerreserven aufgebaut werden. Auch wenn das Olivenöl dabei alt wird, hat es Chancen auf das Etikett „nativ“.

 

Lobbyisten bestimmen die Grenzwerte neu

Die UV-Photospektronomie

Echte native Olivenöle weisen in ihrer Molekülstruktur überwiegend konjugierte Doppelbindungen auf. Mittels einer physikalisch-chemischen Prüfmethode, der UV-Photospektronomie, kann man diese Bindungen ermitteln bzw. identifizieren. In einem durch die Grenzwerte exakt definierten Bereich erhält man ein Signal, das aufgezeichnet werden kann. Durch zu heißes Pressen, fasche Lagerung, Verwendung fauler Oliven und durch Alterung kommt es zur Ausbildung von isolierten Doppelbindungen. Deren Signal liegt außerhalb der Grenzwerte. Daran kann man Lampantöle leicht erkennen. Will man dies umgehen, muss man nur die Grenzwerte erweitern, wie jetzt in Brüssel beschlossen.
Kohlenstoffketten
konjugierte Doppelbindung; –C=C–C=C–C=C–C=C–
isolierte Doppelbindung: –C=C–C–C=C–C–C=C–C–C=C–

 

Sensorische Fehlerkontrolle

Die Fälschungen des Olivenöls waren mit der Zeit so perfekt geworden, dass sie im Labor nur noch schwer zu erkennen waren. Daher wurde die Olivenöl-Verordnung um eine sensorische Kontrolle ergänzt, die in ihrem Rang noch vor der analytische Kontrolle steht. Fehler, die im Labor nicht mehr oder nur sehr schwer erkennbar sind, können von geschulten Geschmackstestern erschmeckt werden. Ein Natives Olivenöl Extra darf bei dieser Kontrolle in definierten Geschmackskategorien keine Fehler aufweisen. Wird diese Norm nicht erreicht, greift eine kleine Fehlertoleranz, angegeben durch einen im Test ermittelten Median bis zum Wert von 2,5. Die damit bewerteten Olivenöle galten dann, bei Verlust der Bezeichnung „Extra“, noch als natives Olivenöl. Bei Überschreiten dieses Medianwertes wurde das Olivenöl dann wieder als Lampantöl eingestuft. Hier beschloss man in Brüssel, den Median von 2,5 auf 3,5 zu erhöhen. Unter Fachleuten ist damit klar, dass es zukünftig nahezu keine Lampantöle mehr geben wird.

 

Mindesthaltbarkeitsangaben

Bei der Produktdeklaration müssen nun weder der Erntejahrgang der Oliven noch das Abfülldatum angegeben werden. Als Mindesthaltbarkeitsangabe reicht die Angabe: „Verbrauch empfohlen bis zum …..“.
Mit diesen kleinen Änderungen, können nun, ohne großen Aufwand und archaische Betrugsmethoden, strategische Olivenölreserven angelegt werden. Die Auswirkungen beginnen die Erzeuger seit zwei Jahren zu spüren. Erst wenige verstehen aber den grundlegenden Wandel, der sich im Hintergrund am Olivenmarkt vollzieht. Ihre Proteste bleiben daher ohne Wirkung. Würden Regierungen den Protesten nachgeben und entstehende Einkommensminderungen ausgleichen, machten sie sich umgehend unerlaubter Agrarbeihilfen schuldig und müssten mit Sanktionen aus Brüssel und mit Strafzahlungen rechnen.

 

Alternativen gibt es immer, selten aber leichte

Viele kleinere Betriebe werden zunächst mit noch höherer Selbstausbeutung und intensiverer Nutzung ihrer Flächen für mehr Masse die Verluste zu kompensieren suchen. Wenn, wie geplant, 2013 die bisher gezahlten Agrarsubventionen wegfallen, werden sie nach und nach aufgeben müssen. Mittelgroße Betriebe mit größeren Flächen werden die Methoden der Masseproduktion wie beim Obstanbau übernehmen. Sie werden ihre jetzigen Olivenhaine roden und sie mit schnell wachsenden und ertragsstarken Hybriden in dichten Reihen bepflanzen. Derartige Plantagen lassen sich dann mit wenigen Menschen maschinell bewirtschaften, mit kontrollierter Nährstoffzufuhr, dem Einsatz von Designer-Pestiziden und maschineller Ernte- und Baumschneide-Technik. In manchen Gegenden, besonders in Spanien, ist dieser Trend bereits erkennbar. Von einem Olivenölerzeuger lässt dann nicht mehr sprechen, eher von einem Rohstofflieferanten für die Olivenölindustrie. Dieses industrielle Lebensmittel ist im Geschmack ein charakterloses Massen-Olivenöl. Sein Wert ist mit 2,79 €uro pro 0,75l deutlich zu teuer bemessen.
So einzigartig ist das alles jedoch nicht. Schmeckt etwa die Milch, die wir im Supermarkt kaufen, wirklich gut, oder erwartet man das überhaupt noch? Die meisten Konsumenten haben sich daran gewöhnt und noch nie eine gute Milch gekostet, sie wissen daher nicht um echte Qualitätsunterschiede. Sie können sich gar nicht vorstellen, dass man sie schmecken könnte – und dass man zum Beispiel, wenn man „echte“ Milch genießt, keine teuren Nahrungsergänzungsmittel wie Kalzium und Magnesium mehr zukaufen müsste.

 

Idee und Projekt arteFakt – eine nachhaltige Alternative

Eine lebenswerte Alternative entstünde aus unserer Sicht nur aus dem Mut, sich von diesen Marktmechanismen abzuwenden: ein konsequentes Umdenken hin zu Qualität, Individualität, Transparenz und Nähe zwischen Erzeugern und Verbrauchern. Ein Olivenanbau, der auch die Landschaftspflege mit umfasst, eröffnete über die Olivenölerzeugung hinaus auch touristische Potenziale für zusätzliche Erwerbszweige. Mit dem Projekt arteFakt können wir seit über zehn Jahren aufzeigen, dass eine solche Orientierung nicht nur eine denkbare, sondern eine machbare Alternative ist.
Die Aufspaltung des Marktes, die wir z.B. bei Wein, Käse und vielen anderen Lebensmitteln schon lange kennen – einerseits industrielle Erzeugung und andererseits natürliche –, werden wir nicht aufheben können. Auch beim Olivenöl bilden sich qualitätsbewusste Erzeuger heraus, die wir in Analogie zu den Winzern zukünftig „les Oliviers“ nennen wollen. Sie gewinnen aus ihren Oliven weniger das Öl als den Fruchtsaft der Olive, legen deshalb ihr Augenmerk auf den An- und Ausbau autochthonen Sorten, betreiben eine nachhaltige Landwirtschaft und bescheiden sich bei den Mengen zum Vorteil einer hohen Jahrgangsqualität. Das wird weiterhin nicht mit Billigangeboten zu machen sein, das Preisniveau wird eher noch steigen.
Discounter und Supermärkte werden wie bisher das Billig-Segment der dann so genannten Nativen Olivenöle Extra anbieten. Sauber raffiniert oder geschönt, werden diese Öle nicht mehr Ergebnis der „Auslese-Qualität“ sein. Ihre Deklaration bietet nur noch das Wort „Olivenöl“ für ein Industrie-Erzeugnis, wie es bei anderen Speiseölen, etwa dem Sonnenblumenöl, lange schon eingeführt ist. In den Feinkost-Nischen der Supermärkte wird sich, wie jetzt schon beim Wein, dann auch das eine oder andere echte Olivenöl finden, freilich nicht zu billigen Preisen. Wir werden unseren eingeschlagenen Weg mit Freude und mit Freunden weiter gehen und uns mit dem Saft der Olive noch stärker als bisher an der Methodik und Systematik der Weinqualitäten anlehnen. Vielleicht gibt es dann zukünftig natürliche Olivenöle als Kabinett, Classic oder Auslese. Die Aufklärung ist oft mühsam und beschwerlich, aber sie schmeckt so herrlich.

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