Olivenöl No. 11 – Die Mallafrés

Erzählt von Ralf Wigger

Es ist Januar – in Katalonien ist der Winter eingezogen, der Wind, der vom Meer kommt, treibt eine unangenehme Feuchtigkeit über das Land. Die Menschen klagen über die Kälte!

Im kleinen Dörfchen Riudoms, ungefähr 100 Kilometer südlich von Barcelona, treffe ich an diesem Vormittag Josefina Mallafré, eine elegant-gekleidete Frau, die mir heute etwas über die außergewöhnliche Geschichte ihrer Familie und der Olivenmühle erzählen will. Zusammen mit ihrem Sohn Josep-Maria betrete ich das Wohnhaus, das direkt neben der Mühle steht. Josefina erwartet mich schon, Sie sitzt im Wohnzimmer, das Kaminfeuer lodert und es ist angenehm warm.

Ich setze mich neben Sie, wir kennen uns seit einigen Jahren, daher entsteht sehr schnell ein vertrautes Verhältnis. Sie fängt an, über ihr Leben zu reden…

Die Kindheit war damals Arbeit

Josep Maria Mallafré (Olivenöl No. 11)

Josep Maria Mallafré (Olivenöl No. 11)

Josefinas Geschichte beginnt in Riudoms, einem kleinen Dorf im Hinterland der Costa Daurada und unweit von Reus. Hier wurde Sie 1940 geboren, auf einem Bauernhof, den die Eltern mit viel Arbeit Tag für Tag bewirtschafteten. Schon als Kind musste Sie zusammen mit ihrem größeren Bruder mithelfen, die Existenz der Familie zu sichern. Neben dem Anbau von Gemüse und Haselnüssen kam mit den Jahren auch eine kleine Hühnerfarm hinzu.

Viel Zeit zum Lernen blieb nicht, zur Schule konnte Sie nicht immer gehen, also beschlossen die Eltern, zusammen mit anderen Bauern, im Sommer eine private Lehrerin zu engagieren. Sie wussten im republikanischen Katalonien, dass Bildung wichtig ist und ließen die Kinder das Versäumte im Sommer wieder aufholen. Zu dieser Zeit lernte Josefina einen Jungen namens Humberto kennen. Gerade einmal 14 Jahre alt, wohnte der junge Mann mal bei seinen Verwandten in Riudoms und mal bei seinen Eltern, in dem für Sie so fernen Frankreich.

Warum wohnt ein Junge mal in Katalonien und mal in Frankreich, will ich wissen. Josefina ist nun mittendrin in ihrer Familiengeschichte.

Juan Mallafré als Republikaner im spanischen Bürgerkrieg, die Emigration

Humbertos Vater, Juan Mallafré, war ein hoch angesehener Mann in Riudoms. Er handelte mit Früchten und Gemüse, kaufte und verkaufte, er hatte es zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht. Sein Herz pochte links-republikanisch, ein Mann, der Anfang der 30 Jahre des vergangenen Jahrhunderts seine Ideale einer freien und selbstbestimmten Gesellschaftsform verteidigte. Er wurde Bürgermeister und kümmerte sich fürsorglich, aber auch streng um sein Dorf.

Doch mit dem spanischen Diktator Franco sollte sich von heut auf morgen alles ändern. Die Truppen des Diktators rückten näher, es kam zur entscheidenden Schlacht gegen die Republikaner am Ebro, keine 50 Kilometer von Riudoms entfernt – ein Blutbad mit tausenden Opfern. Franco mordete grausam und gewann heroisch – seine Gegner waren daraufhin in höchster Gefahr. Auch für Juan wurde es brandgefährlich. Als glühender Verfechter der Republik sollte er in ein von Franco errichtetes Konzentrationslager. In höchster Gefahr halfen ihm befreundete Franzosen, mit denen er geschäftlich zu tun hatte. Sie boten ihm an, zusammen mit seiner Familie, zu Ihnen, nach Südfrankreich zu fliehen. Als eine der wenigen Familien, besaßen die Mallafrés zur damaligen Zeit, es war das Jahr 1934, ein Auto. In einer Nacht-und- Nebel-Aktion verließen Juan, seine Frau und die zwei Kinder das geliebte Riudoms und kamen in der Nähe des französischen Perpingan unter. Die französischen Freunde kümmerten sich herzlich um die Katalanen, sie gaben ihnen zu essen und halfen den Kindern, die später dort auch zur Schule gingen.

Mit vierzehn trug Humberto bereits die Last eines Erwachsenen

Was in den folgenden Jahren geschah, weiß Josefina nicht mehr genau. Sie glaubt, dass Umberto 6 oder 7 Jahre alt war, als er mit seiner Familie nach Frankreich floh. Die Erinnerungen werden wieder deutlicher, als Humberto, gerade einmal 14 Jahre alt, beschloss, mit seiner Mofa und vorbei an den Grenzkontrollen, in das heimatliche Riudoms zu fahren, um nach Verwandten und der von seinem Vater gegründeten Olivenmühle zu schauen.

Und es wurde höchste Zeit nach dem Rechten zu schauen! Ein aus dem Dorf stammender Müller war drauf und dran sich die Mühle unter den Nagel zu reißen. Gerade noch rechtzeitig und mit Hilfe der Verwandtschaft konnte Humberto die „feindliche Übernahme“ verhindern. Von nun an pendelte er immer zwischen Südfrankreich und Riudoms, berichtete seinen Eltern von den Verwandten und von der Mühle. In dem Jungen erwuchs ein Verantwortungsgefühl für die Mühle, die er bis zu seinem Lebensende in sich trug. Er fing an, das zerstörte Dach der Mühle zu reparieren, die Maschinen zu warten, die Mühle wieder für die Produktion von Olivenöl vorzubereiten. Die Anfänge waren schwierig, doch mit den Jahren war die Mühle wieder voll funktionsfähig.

Die Rückkehr der Familie aus dem Exil

Wer katalanische Familien kennt, der weiß, dass geschäftlicher Erfolg ohne den Rückhalt in der Familie, wenig wert ist. Trotz der ersten, kleinen Erfolge mit der Mühle, die Familie war noch immer getrennt. Juan mit Frau und dem weiteren Kind wohnten weiterhin im Exil und durften nicht ins geliebte Katalonien einreisen. Das sollte sich Anfang der 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ändern! Der Pfarrer des Dorfes organisierte eine Petition, um die Rückkehr der Mallafrés zu ermöglichen. Fast alle Bürger Riudoms folgten dem Aufruf und unterschrieben den Antrag. Die Provinzregierung ließ sich nur unter einer Bedingung ein: Humberto sollte sich in der Öffentlichkeit für das Verhalten seiner Familie entschuldigen – er willigte ein! Das kaum für möglich Gehaltene passierte: Die Familie Mallafré kehrte in die für viele Jahre unerreichbare Heimat zurück. Von nun an wohnte die Familie wieder neben ihrer Mühle, wobei Humberto derjenige war, der die Verantwortung übernahm. Sein Vater Juan half ihm, redete aber nicht ins Geschäft hinein.

Die Familie war wieder zusammen, doch es fehlte noch etwas im Leben vom Humberto.

Josefina lächelt und die Augen werden groß und milde.

Die Heirat von Humberto und Josefina

Ihren Humberto kannte Sie ja schon lange, er war ein Junge des Dorfes, aber so richtig gefunkt hatte es auf einem Dorffest. Der große Alterunterschied stellte keine Probleme dar, schon eher die Herkunft der Braut. „Ich kam aus sehr bescheidenen Verhältnissen, da war mein Schwiegervater am Anfang nicht sehr begeistert“, erinnert sich Josefina. Doch die Liebe kannte keine Grenzen, 1963 wurde geheiratet!

Es folgten glückliche Jahre, doch Josefina war nun nicht mehr das schüchterne Mädchen aus der Nachbarschaft. Sie half ihrem Mann in der Mühle, sie bekam drei Kinder, Sie musste Verantwortung übernehmen. Und Sie wollte mehr: Als Humberto bei einem gemeinsamen Urlaub in Südfrankreich einen Mann kennenlernte, der gerne einen Campingplatz in Spanien eröffnen wollte, entwickelte sich die Sache nach ihren Wünschen. Ein verlassener Campingplatz in der Nähe von Riudoms und direkt am Meer war schnell gefunden. Humberto wurde Direktor und die rechte Hand des Besitzers und Josefina setzte sich durch: Sie übernahm die Verantwortung für das Lokal des Campingplatzes.

„Ich wollte auch in der Nähe meines Mannes sein, auf so einem Campingplatz gab es ja auch so einige Verführungen“, erinnert sich Josefina und lacht dabei.

Von der Osterwoche bis September wohnte die Familie in einem kleinen Haus auf dem Campingplatz, im Hochsommer auch zusammen mit den drei Söhnen, die auf ein katholisches Internat im nahen Tarragona gingen. Der Winter stand dann wieder ganz im Zeichen des Olivenöls.

Zeiten ändern sich, was Humberto immer früh erkannte

Mittlerweile hat sich Josep-Maria, Josefinas mittlerer Sohn und seit dem Jahr 2000 Leiter der Olivenmühle, mit an den Tisch gesetzt. „Früher war so eine Arbeitsteilung möglich. Die Ernte im November, dann das Pressen und der Verkauf des gesamten Olivenöls. Dann wurde die Mühle wieder sauber gemacht und ab März ging es auf den Campingplatz“, so Josep-Maria.

Mutter Josefina bestätigt die Ausführungen ihres Sohnes, fügt aber das Wichtigste hinzu! Ihr Mann hatte in dem bisherigen Geschäftsleben eines gelernt, was überlebenswichtig war: „Wenn man vorankommen will, darf man nicht still stehen. Jedes Jahr gab es in der Mühle eine Neuerung, immer wieder versuchte er, die Maschinen besser einzustellen, Abläufe zu verbessern. Er wollte immer ein Olivenöl, das seinen Qualitätsanforderungen entspricht. Er redete mit den Bauern, überprüfte die Oliven, in jedem Urlaub haben wir mindestens eine Olivenmühle besucht“,  erinnert sich Josefina.

Neben der ständigen Verbesserung seines Öls, zog Humberto nun endlich auch einmal Vorteile aus seiner eignen, so erlebnisreichen Geschichte. Perfekt französisch sprechend und keine Angst vor dem Unbekannten fing Humberto an, in Frankreich sein Olivenöl anzubieten – mit Erfolg. Viele Olivenmühlen in Südfrankreich hatten zu wenig Olivenöl und Humberto nutzte die Gunst der Stunde und verkaufte größere Mengen Jahr für Jahr. Die Mühle, die er mit eigenen Händen wieder aufgebaut hatte, war endlich soweit, dass sie die ganze Familie ausreichend ernährte, so war es auch zu verkraften, dass nach 12 Jahren Humberto und Josefina mit der Arbeit auf dem Campingplatz aufhören mussten, da die Besitzer wechselten.

Die Olivenmühle wird zum Mittelpunkt ihres Lebens

Die Konzentration lag nun ganz und allein auf ihr Olivenöl! Und ihre Mühle wurde im wahrsten Sinne des Wortes ein Familienunternehmen. Während Josefina den neugegründeten, kleinen Verkaufsladen leitete, waren Humberto und seine 3 Söhne mit der Mühle beschäftigt. Als besonders begabt im Umgang mit dem Olivenöll und den Maschinen erwies sich Josep-Maria: „Ich habe immer schon gerne getüftelt, Maschinen zusammengebaut; die Mühle war ideal zum Lernen und mein Vater ließ mich gewähren.“

Somit stand fest, dass Josep-Maria nach seiner Schulzeit mit 16 Jahren in den Betrieb seines Vaters mit einsteigen würde. Einen Ausbildungszweig, so wie es ihn heute auf der Landwirtschaftsschule gibt, gab es damals nicht. Das Wissen über Olivenöl wurde von Generation zu Generation mündlich weitergegeben.

Josep-Maria war neugierig und unruhig, neben dem väterlichen Betrieb gründete er, nicht gerade zur Freude seiner Eltern, mit einem Geschäftspartner eine weitere Ölmühle zur Herstellung kosmetischer Basisprodukte. Es wartete viel Arbeit auf Josep-Maria, insbesondere zur Erntezeit im November und Dezember wollte die Arbeit nicht enden, 14 und 16-Stunden Tage waren keine Seltenheit.

Mitten aus dem Leben gerissen

Doch dann geschah das, wovor sich alle fürchten: Vater Humberto, Familienoberhaupt, Kämpfer und Charakterkopf der Familie, kam 1999 bei einem schrecklichen Autounfall ums Leben. Aus dem Nichts stand die Familie Mallafré ohne ihren geliebten Mann und Vater da. Es folgten Wochen der Trauer, der Starre, der Hoffnungslosigkeit bis Josefina wieder einmal mit ihrer Stärke und Entschlossenheit voranschritt. In einem langen Gespräch mit ihren drei Söhnen äußerte Sie ihren einzigen Wunsch: Die vom Vater so geliebte und wieder aufgebaute Mühle solle von den drei Kindern weiter geführt werden. Die Kinder wussten, dass Sie den Wunsch ihrer Mutter nicht abweisen konnten und übernahmen gemeinsam das Kommando in der Mühle. Es folgte ein schwieriges Jahr mit mehr Tiefen als Höhen, wobei die zu erledigende Arbeit noch das geringste Problem war. Verantwortung zu übernehmen, Mitarbeiter zu führen, Verkaufsgespräche zu leiten  – Umstände, die Vater Humberto in jungen Jahren lernte und bis zu seinem Tode perfektionierte, mussten die drei Söhne erst einmal mühsam erlernen.

Josep Maria in den großen Fußstapfen von Vater Humberto und Großvater Juan

Nach dem „Lehrjahr“ setzten sich die drei Brüder wieder an einem Tisch um zu beraten, wie es in Zukunft mit der Mühle weitergehen sollte. Sie einigten sich darauf, dass Josep-Maria in Zukunft der alleinige Besitzer der Mühle sein sollte.

Nach Großvater Juan und Vater Humberto war es nun Josep-Maria, der das Familienunternehmen ab dem Jahr 2000 in die dritte Generation führte. Es folgten Jahre der Investitionen: neue Maschinen wurden gekauft, größere Produktionshallen errichtet. Der heute 3-fache Vater handelte getreu nach dem Motto seines Vaters: „renovar o morir“ (erneuern oder sterben). Und endlich konnte er seiner Leidenschaft als „Tüftler“ nachgehen: In seinem neuen Labor kreierte Josep-Maria neue Öle. Insbesondere bei den aromatischen Olivenölen war er einer der ersten in Spanien, die Olivenöl mit Ingwer oder mit Rosmarin kombinierten.

Als Mitte der 2000er Jahre die Nachfrage nach biologisch-hergestellten Olivenölen in Deutschland und anderen europäischen Ländern stark anstieg, war wiederum Josep-Maria einer der ersten, der in Katalonien voranschritt. 2009 verließ zum ersten Mal ein Bio-Olivenöl die Mühle der Mallafrés. „Ich möchte gerne, so wie mein Vater, jedes Jahr etwas Neues machen, dann werden wir sicherlich auch in Zukunft Erfolg haben“, so Josep-Maria.

Noch immer sitzen wir in der guten Stube bei Mutter Josefina, die Geschichte der Mallafrés ist aufregend und spannend und unser Gespräch führt uns in die Zukunft. „Ich habe drei Söhne, die alle zur Schule gehen und weiß überhaupt noch nicht, ob einer von ihnen einmal Interesse hat, die Mühle weiterzuführen“, fährt er fort. „Sollten Sie andere Interessen haben, dann wäre es so, ich werde Sie absolut darin unterstützen, ihre Berufswünsche umzusetzen. Doch sollte sich einer von den drei Jungs für die Mühle entscheiden, dann wäre ich sehr glücklich.“

Bei diesen Worten fangen auch Josefinas Augen an zuglänzen.

Ralf Wigger

Als Münsteraner lernte Ralf Wigger die Katalanin Veronica Ventura in einer irischen Jugendherberge kennen. Heute leben beide in Cambrils, nahe Riudoms. Ralf betreibt dort ein kleines katalanisches Reisebüro für Individualreisende und bietet seit vier Jahren für die arteFakt-Freunde jährlich Reisen zur Olivenernte an, natürlich bei der Familie Mallafré. Weiterhin schreibt Ralf regelmäßig im Katalonien-Blog für uns über Interessantes aus der Olivenregion Tarragona, in der der Ort Riudoms liegt.